Ein Beitrag von Laura Danzeisen
Es ist ein Anblick, der uns jubeln lässt. Wir stehen ganz oben, auf dem Dach des Cima di Terra Rossa in 2.400 m Höhe und betrachten den Friaul, der uns von allen Seiten umgibt und hier im Gebirge sein eher raues, alpines Gesicht zeigt. Noch morgens war nicht klar, ob es alle nach oben schaffen werden, aber angetrieben durch immer mehr Steinbock- und Murmeltiersichtungen konnten sich die meisten aus der Reisegruppe zum vollständigen Aufstieg durchringen und –schwitzen.
Mit diesem Gipfeltreffen endet eine Woche Italien-Exkursion im Modul „Landschaftsanalyse“, bei der sich 11 Studierende des 2016er-LANU-Matrikels gemeinsam mit Jana Chmieleski, Vera Luthardt und Laura Danzeisen intensiv mit dem nordöstlich zwischen Alpen und Adria gelegenen Friaul-Julisch-Venetien auseinandersetzten.
Traurige Berühmtheit erlangte diese bis heute wenig beachtete Alpenregion im Jahr 1976. Starke Erdbeben verwandelten einen Großteil der kleinen Bergdörfer, die nur durch kurvige Straßen zu erreichen sind, in eine Schutt- und Trümmerlandschaft und der lange und mühsame Wiederaufbau zehrte an den Kräften der Bewohner*innen. Die daraufhin verstärkte Abwanderung in den wirtschaftsstarken Süden hatte vielschichtige Folgen für Natur und Mensch, die uns die gesamte Woche über beschäftigen sollten.
Erster Gastgeber zu Beginn der Woche ist das Team des Naturpark Prealpi Giulie, das uns in die naturräumlichen Besonderheiten der Region einführt und dessen Besucherzentrum mit Herberge im Val di Resia uns
er Headquarter für den ersten Teil der Woche ist. Von dort aus besuchen wir Kaspar Nickles, seines Zeichens Raumpionier und der letzte Wiesen und Weiden pflegende Bauer des Dorfes Dordolla mit seinem ökologischen Betrieb TiereViere. Den Kampf um den Erhalt der Bergwiesen und –weiden und die Thematik Wildnis vs. Kulturlandschaft erläutert er uns anschaulich bei einem Spaziergang rund um das ruhige Bergdörfchen. Eine erste Lektion darin, was es für Landwirt*innen konkret bedeutet, wenn Naturschützer*innen schonende Grünlandpflege fordern, erhält die Gruppe dann auch prompt in Form eines Arbeitseinsatzes, bei dem in schweißtreibender Arbeit Mahdgut abgetragen und Steine von einem steilen Hang gesammelt werden. Als Belohnung erhalten wir Steinofenpizza und guten Landwein, womit natürlich alle Erwartungen an eine Italienreise erfüllt werden.
Einen weiteren Tag widmen wir dem Tagliamento, dem letzten ungezähmten Fluss
Mitteleuropas. Entlang verschiedener Stationen des türkisgefärbten Wasserlaufs erläutert uns Helmut Zwander von der Pädagogischen Hochschule Graz/Klagenfurt die Bedeutung einer solchen Flusslandschaft für das Ökosystem. Und während wir in der großzügigen Flusslandschaft stehen, erwacht in so manchem Studierenden ein uralter Sammeltrieb, der uns nach den schönsten Steinen suchen lässt. Wir essen Maulbeeren, pflücken Lorbeerblätter, bestaunen mehrere Dutzend Gänsegeier und lernen von Herrn Zwander jede Pflanze bei ihrem Namen kennen.
Das bereitet uns schon mal auf unsere Höhenwanderung auf dem artenreichen Botanikpfad des Monte Plauris vor. Wir entdecken Enziangewächse und Edelweiß, während wir durch die Wolken wandern und zeitweise rätseln, ob es jetzt eigentlich gut ist oder nicht, dass wir durch den Schlechtwetter-Nebel den Abgrund nur erahnen können. Doch der Wolkenvorhang reißt irgendwann auf und das hat auch sein Gutes, denn so lässt sich die, während der gesamten Reise allgegenwärtige Frage „Was sehen Sie hier und wie lässt sich diese Landschaft deuten?“ besser beantworten. Wir sind ja nicht im Urlaub, sondern auf wissenschaftlicher Exkursion.
Nach Kulturlandschaft, Fluss und Botanik rückt gegen Ende der Woche dann die Fauna stärker in den Fokus, da wir bei Tierfilmer und Monitoring-Experte Marco Favalli und seinem Kollegen Leonardo zu Gast sind. In ihrer nur über Fußpfade zu erreichenden Almhütte übernachten wir (Kleiner Tipp für kommende Exkursionen: Nur Rucksäcke, KEINE Koffer mitnehmen) und sehen uns seltene Aufnahmen aus der Region von Bären, Luchsen, Schlangen, Eulen und nicht zuletzt dem Steinbock an. Um diesen zu sehen, kraxeln wir am letzten Tag frühmorgens dann eben den Cima die Terra Rossa hinauf und werden sowohl mit Tiersichtungen als auch mit Ausblick belohnt.
Keine Ackerdemiker*innenreise ohne Lyrik, und da sich während einer Regenwetterphase tatsächlich spontan ein kleiner Gedichte-Kreis gebildet hatte, soll der Reisebericht nun in diesem Sinne beendet werden:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im dunklen Laub die Goldorangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Möcht ich mit dir, o mein*e Kommiliton*in, ziehn!
Frei nach Goethes Italienischer Reise
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