Ein Gastbeitrag von Maria Hermann und Leona Poprawa
photo credits go to Marianne Nobelmann und BESH
In diesem Jahr ist Baden-Württemberg das Erkundungsziel der 11 Teilnehmer*innen des Moduls Fachexkursion Wertschöpfungskette. Zusammen mit Dr. Marianne Nobelmann und Prof. Dr. Anna Maria Häring standen 12 Betriebsbesichtigungen auf der Agenda, auf die wir Studierenden uns im Vorfeld vorbereitet hatten. Die Besonderheiten der Landwirtschaft Baden-Württembergs wurden in einem Exkursion-Reader zusammengefasst und wie sich dabei herausstellte, stand die Fahrt ganz unter dem Motto der Vielfalt. Genau so vielfältig und bunt wie die Kulturlandschaft des Bundeslandes, waren auch die Betriebe. Nur eins hatten alle gemeinsam, die Führungspositionen waren in männlicher Hand.
Am Sonntagnachmittag, 13.05.2018, teilen wir den Navigationsgeräten das erste Ziel, die Jugendherberge in Schwäbisch Hall, mit. Kurz nach Mitternacht erreichten alle wohl auf die Herberge und stürzten sich in die Betten, um nach einer kurzen Nacht erholt in eine ereignisreiche Blogwoche (der musste sein) starten zu können.
Montag // Schwäbische Schweine und schwäbischer Großhandel
Die erste Station führte uns zur Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Der 1988 von Rudolf Bühler gegründete Verein zur Rettung der charakteristischen traditionellen Landrasse „Schwäbisch-Hällisches“ Schwein ist heute einer der führenden Erzeuger und Vermarkter von Bio-Fleisch. Nach dem Prinzip der bäuerlichen Selbsthilfe und einer geschickten Verknüpfung von Land und Wirtschaft ist entlang der gesamten Wertschöpfungskette (Züchtervereinigung, Erzeugerschlachthof, Vermarktung) jeder Bereich durch den Verein organisiert. Wir hatten die Ehre von Herrn Bühler selbst und seinem Kollegen Christoph Zimmer eine Unternehmenspräsentation zu erhalten. Anschließend besichtigten wir eine unweit gelegene Schweineweide und durften uns in der Markthalle Schwäbisch Hall selbst überzeugen.
Am Nachmittag hatten wir einen Termin beim dem Großhandelsunternehmen Weiling GmbH. Herr Hauser, Leiter der Lagerlogistik in Lonsee, gab uns einen Einblick in die Strukturen und Abläufe des seit über 40 Jahren familiengeführten Handelsunternehmen. Die Kund*innen von Weiling erhalten nicht nur ein Vollsortiment von über 12.000 Artikeln, sondern auch umfassende Beratung bei der Sortimentsauswahl, dem Marketing oder der Entwicklung eines neuen Ladens. Wir durften uns anschauen, mit welcher Effektivität und unter Einsatz neuester Technologien die vielen Bestellungen im Logistikzentrum in Lonsee abgefertigt werden, damit sie termingerecht den Bio-Fachhandel erreichen.
Voller Eindrücke dieses Tages machen wir uns durch Nebel und Regen auf nach Einhalden, zum Milchviehbetrieb von Bernhard Rauch, wo wir für die folgenden zwei Nächte unterkamen. Auf dem abgelegenen Hof mit Matratzenlager im Dachgeschoss und einem Bullerjan-Ofen in der Küche konnten wir es uns zum Feierabend sehr gemütlich machen.
Der Bioland Milchviehbetrieb von Bernhard Rauch ist klein und Herr Rauch ist damit glücklich und zufrieden. Er ist Idealist und hat sich damals bewusst für den Umbau zu einem kleinen Laufstall für seine Kühe entschieden, statt eine Großinvestition zu tätigen und zu wachsen. Nach eigener Aussage konnte er sich nach der Umstellung auf die Bio-Landwirtschaft endlicher wieder freier fühlen und durchatmen. Somit hat er auch mehr Zeit, um sich um seine junge kleine Familie zu kümmern. Noch im letzten Jahr fand auf der Wiese hinter dem Hof ein kleines Festival statt. Für ausgelassene Stimmung wird Bernhard Rauch mit seinem Rauchwässerle (selbstgebrannter Obstbrand 40%) gesorgt haben, welchen es auch für uns käuflich zu erwerben gab.
Dienstag // Soziale Landwirtschaft und die ominöse Süßkartoffel
Kaum ausgeschlafen aber mit viel Elan ging es am Dienstag unter dem Motto der sozialen Landwirtschaft als erstes auf das Hofgut Rimpertsweiler. Der Hof wird von der Gemeinschaft für Therapie und Landbau e.V., einem sehr jungen, entspannten Team aus Familien mit Kindern und Altenteilern, bewirtschaftet. Besonderheit des Hofes ist, dass er der Fachklinik siebenzwerge für Suchterkrankungen angeschlossen ist. Suchtkranke Patient*innen kommen, wenn sie Lust haben, vormittags für vier Stunden auf den Hof um im Stall oder im Gemüsebau zu arbeiten. Für den Hof ist dies nicht unbedingt einfach, da mal zwei und mal sieben Suchtkranke kommen und es keine Planungssicherheit gibt. Trotzdem wird das Hofgut mit Leidenschaft, Idealismus und dem Wunsch nach Vielfalt bewirtschaftet. Eine weitere Besonderheit ist der Anbau von Lichtwurzeln als Sonderkultur. Der Anbau fordert viel Handarbeit und auch deshalb ist die Kultur ideal für den Hof – Hände haben sie meist genug durch die Therapiepatient*innen.
Nach einer Fährüberfahrt über den Bodensee, mit den ersten Sonnenstrahlen, die wir seit unserer Abfahrt gesehen hatten und einer Mittagspause mit Picknick am Ufer, waren wir nun auf der „Gemüseinsel“ Reichenau, um Benjamin Wagner und seinen Betrieb Bio Gemüse Wagner kennen zu lernen. Hier drehte sich vieles um die Süßkartoffel, denn er hat das Geheimnis des Anbaus in unseren Breiten gelüftet. Er ist einer der Wenigen, die Bio-Süßkartoffeln in Deutschland produzieren, denn das scheint gar nicht so einfach. Er musste am Anfang viel Lehrgeld zahlen, weshalb er nichts zum Anbau verrät. Heute hat sich seine Risikobereitschaft ausgezahlt und die südamerikanische Knolle gedeiht prächtig auf 40 Hektar. Der junge Unternehmer betreibt mit gut 100 Mitarbeiter*innen zudem modernen, intensiven Gemüsebau unter Glas und auch im Freiland. Er hat sich auf wenige Gemüsekulturen spezialisiert, hauptsächlich Gurken und Tomaten unter Glas. Einige alte Gewächshäuser stehen auf der Insel Reichenau, doch da dort der Platz begrenzt ist hat er 10 Millionen Euro in zwei weitere, sehr moderne Glashäuser auf dem Festland investiert. Obwohl Benjamin Wagner eine sehr wirtschaftliche Seite zeigt, ist er ebenso sozial und fair seinen rumänischen Arbeitskräften gegenüber. Schließlich weiß er aus der Zeit, in der er den elterlichen Betrieb in allen Sparten unterstützt hat, genau wie es ist auf dem Feld zu stehen. Hierbei hat er rumänisch gelernt, um sich mit den Saisonarbeitskräften verständigen zu können. In Baden-Württemberg (und Deutschland generell) sind kaum Mitarbeiter*innen für den Gemüsebau zu finden, teilt er uns mit.
Mit ein paar erbeuteten, riesigen Süßkartoffeln ging es für uns dann wieder in die Unterkunft nach Einhalden.
Mittwoch // Äpfel, Bisons, Puten und ein allround Hofgut
Am Mittwoch standen drei Betriebe auf unserem Programm. Morgens waren wir auf dem Betrieb Hofspezialitäten Lojdl verabredet. Herr Lojdl und seine Frau mästen Bisons und Puten seitdem er das Fernfahren satt hat. Sie sind Quereinsteiger*innen und betreiben den Hof mit einem ihrer Söhne, der den Betrieb später auch übernehmen möchte, und zwei Angestellten. Früher hatte Herr Lojdl die romantische Vorstellung von Puten auf einer grünen Wiese unter Bäumen. Dass die Realität dann anders aussieht, bedauert er ein wenig, denn bei 40.000 Puten im Jahr erinnern Ställe und Auslauf doch schon mehr an Massentier- als an Hobbyhaltung. Die Vermarktung der Tiere ist vielseitig. Zum Teil werden sie nur zur Endmast verkauft, ein anderer Teil wird von ihnen selbst ausgemästet und ist nach der hofeigenen Schlachtung in den Verkaufstheken von regionalen Metzgereien zu finden oder wird nach Bestellung an Privatpersonen abgegeben.
Außerdem hält Lojdl eine Herde von 40 Bisons auf hofnahen Flächen, wo sie fast „wild“ leben. Ihr Ende finden die Tiere durch den Weideschuss, den Herr Lojdl selbst ausführt, nachdem er nach indianischer Zeremonie den Tieren für ihr Opfer dankt. Zum Abschluss zeigt er uns noch einige seiner Kostbarkeiten: Bisonschädel, kuschelige Bisonfelle und indianisch bemalte Bisonhäute.
Nächster Stopp war der Betrieb d’Apfelscheuer von Erhard Karrer. Während wir im Wasch- und Packraum belegte Seelen und süßen Apfelsaft zum Mittag genossen, erzählte Erhard Karrer schon leidenschaftlich von seinem Betrieb. Leidenschaftlich ist Karrer überhaupt und man merkt ihm an, dass er Spaß an seiner Arbeit hat, seinem Betrieb und daran, sein Wissen und seine Erfahrungen mit uns zu teilen - egal, ob es dabei um seine Betriebsgeschichte, den rund 18 Apfelsorten die er anbaut oder allerlei biologische Pflanzenschutzmittel geht. Auf dem 17 Hektar Hof findet alles unter einem Dach statt: die Sortierung der Äpfel, die Lagerung und Kühlung, der Fuhrpark und das Leben. Auch Karrer ist Quereinsteiger und hat den Hof mit seiner Frau zusammen aufgebaut und sich damit seinen Lebenstraum erfüllt.
Gegen Abend erreichen wir das Hofgut Rengoldshausen, den wohl bekanntesten Demeter Hof im Süden. „Dort haben sie alles“ heißt es, und das stimmt auch fast. Rengoldshausen ist sehr vielseitig: 190ha Landwirtschaft mit muttergebundener Kälberaufzucht, Vorzugsmilch und Häufelpflug; Gärtnerei, Saatgutvermehrung, Sortenzüchtung, Anzucht; ein Hofladen und Lieferkisten. Rengoldshausen ist sogar Lernort für Kindergartenkinder, Schüler*innen und Ausbildungsstätte für die freie Landbauschule Bodensee e.V.. Der Hof wird von circa 50 Mitarbeiter*innen bewirtschaftet. Produkte, die nicht über den Hofladen oder die Lieferkisten vermarktet werden, werden über den Großhandel Weiling und Edeka Süd-West vertrieben.
Geschafft von den ganzen Eindrücken des Tages und dem Dauerregen, erfreuen wir uns einem späten, aber ausgiebigen Süßkartoffelabendmahl – natürlich mit Benjamin Wagners Bio-Süßkartoffeln. Danach wurde in den Ausbildungsräumen unser Matratzenlager aufgeschlagen und wir durften zu Gitarrenklängen langsam ins Traumland schlummern.
Donnerstag // Gemeinsam (land)wirtschaften
Nach einem flotten Frühstück fuhren wir an diesem Morgen als erstes zur Hofgemeinschaft Heggelbach GbR. Die Besonderheit hier ist, dass alles ganz klar geteilt ist und Zuständigkeitsbereiche genau geklärt sind. In der Gemeinschaft leben mehrere Familien und jede ist für einen Betriebszweig zuständig: Ferienwohnung, Käserei, Gemüseanbau, Kuhstall, Ackerbau, etc.. Das gesamte Konstrukt wird von Anbeginn durch ein Leitbild, in welchem die gemeinsamen Ideale und Prinzipen der Wirtschaftenden festgeschrieben sind, zusammengehalten. Dies und die regelmäßigen Treffen stellen sicher, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Der Betrieb nutzt ausschließlich regenerative Energien und heizt nachhaltig ein. Eine weitere Besonderheit auf dem Hof ist die noch recht junge Anlage, die Rote Beete aus dem Sous-Vide Garverfahren für den Handel verpackt. Für unser Mittagessen im Auto gab’s auch noch leckeren Käse aus der hofeigenen Käserei zu erwerben.
Nach einer guten Stunde Autofahrt erreichten wir das Hofgut Voggenreute. Es ist einer der 28 Demeter Betriebe, die sich zur Erzeugergemeinschaft „Heumilchbauern aus der Regionen Bodensee, Allgäu, Linzgau, Oberschwaben“ zusammengeschlossen haben. Herr Holzapfel, Geschäftsführer des Wirtschaftsvereines Demeter HeuMilchBauern Süd w.V. gab uns einen Überblick über seinen Hof und berichtete anschließend in einem spannenden Vortrag von den Abläufen und Prinzipien der Milchbauern und -bäuerinnen. Kurz und knapp zusammengefasst: Über den Zusammenschluss wird die nach Demeter- und Heumilchrichtlinien produzierte Milch horntragender Kühe gemeinschaftlich, regional und von den Mitgliedern selbst organisiert vermarktet. Das Bestreben ist es, faire Preise für gute Milch zu erzielen und damit Zukunftsperspektiven für die Mitglieder zu bieten. Inzwischen fließt die Milch nicht nur in die Produkte der Molkereien, Käsereien, des Großhandels und der Edeka Süd-West, sondern auch die Eigenmarke der Demeter HeuMilchBauern.
Nächster Halt: M. und G. Steigmiller GbR. Im Betrieb der Familie Steigmiller wird eine märchenhafte Hofnachfolge geschrieben. Seit Generation wird die Hofstelle mitten im Örtchen Ummendorf bewirtschaftet. Gerhardt und Monika haben auf biologischen Landbau und durch den Einfluss von Karl Treß sogar auf Demeter umgestellt. Zwei der vier Söhne steigen in die Fußstapfen der Eltern. Einer davon ist Max, auch Absolvent der HNEE. Er legt noch in diesem Jahr unweit des Dorfes den Grundstein für einen neuen, innovativen Rindermaststall. Sein Bruder Fabian übernimmt die Leitung des Hofladens und plant einen großen Umbau.
Am Abend richtete die Familie eine Grillparty für uns aus. Monika Steigmiller bewirtete mit vorzüglichem Kartoffel- und Nudelsalat sowie Würstchen von den Rindern und Steaks von den eigenen Schweinen. Ein Festschmaus!
Danach ging es ab nach Haus, was für diese Nacht die Jugendherberge Ummendorf war.
Freitag // Freytag am Freitag
Karl Treß ist einer der letzten Zeitzeugen von den Anfängen der Demeter-Bewegung (Demeter-Urgestein). Er gilt als Ökopionier und seine Vorträge sind legendär. Umso größer ist die Ehre, dass wir ihn privat an seinem Wirkungsort besuchen durften. Der Demeterhof Freytag ist mittlerweile an seine beiden Töchter übergegangen aber Karl Treß ackert trotz seiner 89 Jahre noch fleißig auf den hofnahen Gemüsebeeten mit. Der Betrieb wurde 1954 nach einer Phase konventioneller Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Kunstdünger von Karl Treß auf bio-dynamisch umgestellt. Damals wurde er als Spinner belächelt, doch sein Hof wurde nach einigen Jahren zum wirtschaftlichsten der Region, so Treß. Er kramte sogar einige alte Statistiken hervor, um seine Gewinne zu belegen. Heute erzielt der Hof zusätzliche Einnahmen durch Ferienwohnungen. Gäste kommen gerne, um dort mitzuhelfen und sich zu erholen.
Die Exkursion mit den Anfängen der biologisch-dynamischen Bewegung zu beenden, war ein gelungener Abschluss. Für die lange Heimfahrt nahmen wir somit viele neue, und auch längst verankerte Gedanken mit und danken den Organisatorinnen und Dozentinnen des Moduls für diesen aufschlussreichen Ausflug in die Vielfalt Baden-Württembergs.
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