Manchmal, wenn ich auf jemanden in der Hochschul-Bibliothek warte und ich keine Lust habe, in den Zeitschriften zu stöbern, gehe ich den Gang weiter runter und gucke Abschlussarbeiten durch: Bekannte Namen, außergewöhnliche Bindungsformen, Zustand des eigenen Werks und natürlich spannend klingende Titel.
Über die Bachelor-Arbeit von Tina Langklotz, ÖLVin und schon so gut wie über die Ziellinie, wäre ich auf jeden Fall gestolpert: „Mögliche Auswirkungen Effektiver Mikroorganismen (EM) auf die Nutztiergesundheit“. Betreuer*innen waren Prof. Dr. Bernhard Hörning und Charis Braun.
Meine eigenen Erfahrungen mit Effektiven Mikroorganismen waren im Rahmen einer Antibiotika-Behandlung und tatsächlich katastrophal: Ein Esslöffel Probiotika für und aus der Bauchregion, unverdünnt – geruchlich kaum auszuhalten. Der Inhalt der Flasche landete gut gemeint im Blumenbeet. Die Auswirkungen auf den Nasen-Nebenhöhlen-Trakt haben uns drei Tage lang trotz schönen Wetters den Garten meiden lassen.
Also war ich ziemlich gespannt, was Tina in ihrer Verteidigung zum Einsatz in der Landwirtschaft zu berichten hat und besonders, wie Landwirt*innen an Effektive Mikroorganismen herangeführt werden und woher die Entscheidung kommt, mit EM zu arbeiten. Bislang habe ich das Ganze thematisch eher in die Esoterik-Ecke gestellt und die Vorstellung, wie so ein konventioneller Milchbauer 'ne Ladung EM mit ins Futter mischt, war für mich doch eher unrealistisch.
Ausgangspunkt für Tinas Untersuchungen war die allgemeine Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen – unter anderem zurückzuführen auf den erhöhten Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Bis 2006 waren hier Antibiotika-Gaben zur Wachstumsförderung noch Gang und Gebe, auch heute werden noch tonnenweise Antibiotika zur Gesundheits-Prophylaxe in Tierbeständen verabreicht. Über Medienberichte wurde Tina auf Effektive Mikroorganismen aufmerksam: Neues Zaubermittel für Boden, Pflanze, Tier? Das wollte sie genauer untersuchen.
Was genau sind eigentlich Effektive Mikroorganismen?
Bei den anwendungsbezogenen Produkten handelt es sich meist um mikrobielle Mischkulturen verschiedener aerober und anaerober Mikroorganismen, die in eine Zuckerrohrmelasse in Lösung gegeben werden. Die Mikroorganismen helfen in erster Linie bei organischen Abbau- bzw. Vergärungsprozessen. So richtig publik gemacht, hat die EM übrigens Teruo Higa – ein japanischer Professor für Gartenbau.
Wie und warum Landwirt*innen EM nutzen und wie die Nutztiergesundheit durch Effektive Mikroorganismen beeinflusst wird, waren die zentralen Forschungsfragen Tinas Arbeit. Zur Beantwortung hat sie eine Literaturrecherche durchgeführt und konnte dabei auf elf internationale und doch recht unterschiedliche Studien zurückgreifen – bei alternativen Ansätzen sind wissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht immer eine Selbstverständlichkeit.
Zusätzlich führte sie eine quantitative Befragung unter Landwirt*innen durch, die bereits EM anwenden. Rücklauf: 78. Gar nicht schlecht für so ein „Nischenprodukt“. Und erstaunlicherweise tauchten hier mehr konventionell arbeitende Betriebe als ökologische auf. Als Hauptgrund für die Anwendung benennen die Befragten „einen Impuls von außen“: Das kann ein Berufskollege sein, oder Landwirt*innen stolpern -so wie Tina - zufällig über den Begriff und werden neugierig.
Andere nutzen EM bereits in anderen Bereichen auf dem Betrieb. So zum Beispiel bei der Silierung, der Mist- oder Güllebehandlung. Ein geringer Teil verwendet die Effektiven Mikroorganismen tatsächlich als konkrete Maßnahme zur Gesunderhaltung der Tiere. Die Landwirt*innen gaben an, die Produkte zur Tierernährung, im Stall oder zur Futterbereitung zu nutzen.
Spannend bei der Erhebung der Daten (#Praxistipp): Zwei große Hersteller mikrobieller Produkte unterstützen Tina beim Sammeln der Antworten und legten die Fragebögen ihren Bestellungen bei und gaben ihr die Möglichkeit, auf Veranstaltungen Landwirt*innen direkt zu befragen. Das Ganze sowohl analog als auch digital.
Zurück zur Forschungsfrage. Tina versuchte in ihrer Arbeit herauszuarbeiten, wie sich der Einsatz von Effektiven Mikroorganismen auf die Tiergesundheit auswirkt und hat dazu die Antibiotikabehandlungen nach EM-Einsatz in den Tierbeständen über die Tierarztkosten ausgewertet. Ergebnis: Negativ scheint sich die Behandlung mit EM nicht auf die Tiergesundheit auszuwirken. Ganz im Gegenteil: „Es lässt sich eine Tendenz erkennen, dass die Tierarztkosten sogar gesunken sind“, erläutert Tina. Die Antibiotika-Behandlungshäufigkeit ist nach Aussage der Befragten mit EM sogar potentiell verringerbar.
Trotzdem sind Effektive Mikroorganismen bislang eher ein Nischenprodukt. Finden aber besonders bei Landwirt*innen mit ganzheitlichem Ansatz Zuspruch. Aktuelles Problem: Gesicherte Nachweise für die Wirkung von EM gibt es bislang nicht. „Man muss schon ein bisschen dran glauben“, sagt Tina.
Während Tina ihre Ergebnisse vorstellt, geht eine Flasche mit Effektiven Mikroorganismen durch die Reihen. Ich bin kurz unentschlossen, ob ich meine Nase da nochmal drüber hängen soll, aber dieser Mikroorganismen-Shake riecht ganz anders als mein Gebräu. Etwas säuerlich, ein bisschen süßlich – so wie man das eher von Silage kennt.
Ich bin versöhnt. Und mal ganz rational betrachtet: Bevor wir uns und unsere Tiere vorschnell mit Antibiotika (also „gegen das Leben“ arbeitenden Substanzen) belasten, lieber ganzheitlich lebensfördernde Ansätze unterstützen. Und dem Boden kann’s auch nicht schaden.
Wer noch mal detailliert nachlesen will, was Tina alles so herausgefunden hat, der kann ja das nächste mal, wenn sich die Lerngruppe verspätet, am Zeitschriftenregal vorbei schlendern und am Endes des Ganges bei den Abschlussarbeiten gucken. Ich warte derweil auf den ersten Kaffeefleck in meiner Bachelorarbeit.
Tina Langklotz, 2018: „Mögliche Auswirkungen Effektiver Mikroorganismen (EM) auf die Nutztiergesundheit“ (Bachelorarbeit im Studiengang Ökolandbau und Vermarkung)
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