Ein Gastbeitrag von Tobias Kamphoff
Heute geht es um zukunftsfähige Landwirtschaftskonzepte und Kolibris. Was diese Dinge gemeinsam haben? Davon möchte ich euch berichten.
Ich studiere seit 2018 den Bachelor Ökolandbau und Vermarktung an der HNEE. Zu dem Studium bin ich durch einen Zufall gekommen. Ich war auf verschiedenen Höfen im Ausland unterwegs als mir ein Alumni aus Eberswalde von der Hochschule und dem Studiengang erzählte. Zwei Monate später bin ich nach Eberswalde gezogen, um hier zu studieren …
Das Konzept des Market Gardening
Vor dem Studium war ich vor allem auf kleinen Landwirtschaftsbetrieben unterwegs, die mit einem ganz besonderen Anbausystem arbeiten, dem Market Gardening oder zu deutsch „Marktgärtnerei“ (in der Literatur wird das meist synonym mit Biointensivem Gemüsebau genutzt).
Kern der Marktgärten-Betriebe ist der Gemüsebau. Dabei knüpfen sie an alte europäische Traditionen des Gemüsebaus an und verbinden diese mit systemischen und am Menschen orientierten Innovationen. Die „biologisch-intensive“ Anbaumethode ermöglicht die Ertragsmaximierung einer Kulturfläche, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Perspektive und führt zu einer hohen Flächenproduktivität bei gleichzeitiger Wahrung, wenn nicht sogar Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Die Betriebe sind kleinstrukturiert und produzieren regionales, saisonales und ökologisches Gemüse. Sie sind vielfältig, konsument*innennah und ganz wichtig: investitionsextensiv.
Aufgrund dieser Eigenschaften bildet das Konzept eine ideale Grundlage für Existenzgründungen in der Landwirtschaft. Junge Menschen sowie Quereinsteiger*innen können sich so den Traum von einem guten Leben in der Landwirtschaft ermöglichen. Und das ist eine tolle Sache!
Durch Betriebszweige wie Schnittblumenanbau, mobile Hühnerhaltung, Agroforstwirtschaft oder Pilzzucht kann aber jede Marktgärtnerei auch erweitert und diversifiziert werden.
Und genau das ist die große Stärke des Konzeptes. Abhängig vom individuellen Kontext können Marktgärtnereien an verschiedenen Standorten umgesetzt werden. Was nun noch fehlt, ist diesem Ansatz zu einer weiteren Verbreitung in der landwirtschaftlichen Praxis zu verhelfen.
Und damit kommen wir zu den „Kolibris“.
Landwirtschaftliche Revolution im Kleinen
Meine Praxisphase im vierten Fachsemester habe ich 2020 in der Gärtnerei Schloss Tempelhof absolviert (Landkreis Schwäbisch Hall, hat mit Berlin also nichts zu tun). Die Betriebsleiter*innen formen dort seit Jahren einen regenerativen Gemüsebau und sind Pioniere des Marktgarten-Konzeptes in Deutschland. 2015 haben sie begonnen, ihren Gemüsebau Schritt für Schritt umzustellen. Mittlerweile bewirtschaften sie eine rund 4.000m² große Marktgärtnerei, in der über 50 verschiedene Gemüsekulturen angebaut werden. Zusätzlich dazu wird auf ca. zwei weiteren Hektar Feldgemüse angebaut. Auf diese Weise werden über die Solidarische Landwirtschaft ganzjährig ca. 200 Menschen mit frischem und saisonalem Bio-Gemüse versorgt.
Über das Praktikum hat sich der Kontakt zu den Betriebsleitern*innen gefestigt und in intensiven Gesprächen ist uns klar geworden, dieses Konzept und die Ideen weiterverbreiten zu wollen. So hat sich über den Jahreswechsel ein buntes, ambitioniertes Team gefunden, das in diesem Sommer den Verein Kolibri - Netzwerk (für Marktgärten und Mikrofarmen) e.V. gegründet hat.
Unser Team versteht sich dabei als Akteur von und für die Szene in Deutschland. Wir wollen Wegbereitende für eine landwirtschaftliche Revolution des Kleinen sein und als Netzwerk junge Menschen und Quereinsteiger*innen befähigen via Marktgärten in die Landwirtschaft einzusteigen. Wir wollen den Austausch zwischen den Betrieben fördern und ihnen eine Öffentlichkeit geben. Dies alles ist aus der Motivation geboren, nicht auf die eine große Lösung für unsere globalen Herausforderungen zu warten, sondern vielmehr mit kleinen, vielfältigen, ökologisch und ökonomisch tragfähigen Betrieben zurück zum menschlichen Maß und zu einem guten Leben in der Landwirtschaft zu kommen.
Gruppenfoto Marktgarten und Mikrofarming Konferenz am Schloss Tempelhof, Foto Credits: Kolibri 2021)
Links: Feldbegehung, rechts: Diskussionsrunde im Feld, Foto Credits: Kolibri 2021
Aufbau, Vernetzung und Weiterbildung
Unser Hauptevent, die Marktgarten- und Mikrofarming-Konferenz, fand Ende August 2021 auf Schloss Tempelhof statt. Dort stand der Austausch untereinander groß im Programm. Neben Fachvorträgen wurde die Gärtnerei besichtigt und „unter die Lupe“ genommen. Im Feld entstanden wie immer die spannendsten Diskussionen.
Wir befinden uns noch im Aufbau aber wirken bereits in verschiedenen Bereichen. Dazu zählt unter anderem der Aufbau einer Akademie, die Sammlung von Beratungsangeboten und die Miteinbeziehung von Forschungspartner*innen. Die nächste Akademie Veranstaltung wird die 2. Vernetzungsreihe Marktgärtnerei sein. Der erste Durchlauf lief von Mai bis August 2021 und war mit über 100 Teilnehmenden ein Erfolg. Nun geht das Format in die zweite Runde (Start ist der 3. November).
Die Vernetzungsreihe richtet sich an alle Menschen, die sich intensiver mit dem Thema Marktgärtnerei beschäftigen wollen; sei es zum Aufbau des eigenen Betriebes, zur Unterstützung in der Startphase oder zur Inspiration der eigenen gärtnerischen Praxis. An insgesamt acht Treffen werden Praktiker*innen von ihren Höfen berichten. Alle Teilnehmenden haben anschließend Zeit, ausgiebig Fragen zu stellen. Nach der Frage/Antwort-Runde gibt es zusätzlich die Möglichkeit, in einem „digitalem Stammtisch“ in den Austausch mit anderen Menschen zu kommen.
Wem ich Lust auf mehr gemacht habe, und wer neugierig ist zu erfahren, wie wir bei der Namensgebung auf Kolibri gekommen sind, der schaut gerne auf unserer Webseite vorbei.
Dort kann man sich zur anstehenden Vernetzungsreihe sowie zu unserem Newsletter anmelden, um im Netzwerk auf dem Laufenden zu bleiben.
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