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Judith Schubert & Julia Thöring

Realitätscheck quer durch Mecklenburg - Der bittersüße Nachgeschmack einer Exkursion

Eine Woche lang fuhren wir, Studierende aus ÖLV und OLE, zusammen mit Prof. Dr. Anna Maria Häring und Dr. Marianne Nobelmann im Modul „Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle in der Land- und Lebensmittelwirtschaft“ durch Mecklenburg-Vorpommern. An fünf Tagen wurden wir auf 12 ganz unterschiedlichen Betrieben der Land- und Lebensmittelwirtschaft in Mecklenburg begrüßt.

Abb. 1: Willkommen in Watzkendorf! (Foto: Judith und Julia)


Entlang der Wertschöpfungsketten hangelten wir uns vom 350 Hektar großen Demeter-Hof Medewege bei Schwerin zum Ein-Frau Milchviehbetrieb; von der Gemüse SoLaWi mit Kulturscheune zum größten Bio-Jungpflanzenproduzenten im Nord-Osten; wir besuchten „Youtube-Star“ Marco Scheel in der Entwicklungsstätte seines wachsenden Unternehmens Nordwolle, sowie die Pack- und Lagerräume des regionalen Lebensmittelversandes Biofrisch Nordost.


Am Ende eines jeden Tages gab es einen kleinen „Nachtisch“ von Frau Nobelmann.

Zum Reflektieren und Austauschen über die Eindrücke des Tages wurde ein Stapel mit Fragen herumgereicht, die ein*e jede*n trotz Erschöpfung zum Nachdenken und Teilen der verschiedenen Perspektiven auf das Erlebte anregten.

Am Montag nach der Exkursion sitzen wir, die beide ÖLVen Julia und Judith, unter der Discokugel auf dem Stadtcampus und lassen die vergangene Woche auf ähnliche Weise Revue passieren. Lest selbst, was uns beeindruckt hat, uns mit Blick auf unsere berufliche Zukunft noch beschäftigt und was noch so nachklingt.


Das beeindruckendste Erlebnis der Woche

Judith: Oh es fällt mir im Rückblick wirklich nicht leicht, da einen einzigen Eindruck herauszuheben, so grundverschieden und in sich beeindruckend waren alle unsere Exkursionsziele. Besonders blieben mir grade die sehr persönlichen Geschichten hinter den Betrieben hängen und wie ehrlich sie uns erzählt wurden. Die Begegnung mit Fee auf dem Siebengiebelhof ist so ein einprägsamer Eindruck; wie enthusiastisch sie eigenverantwortlich die Landwirtschaft des Hofes schmeißt und wie stark sie für ihren beruflichen Traum vom eigenen Hof den wirtschaftlichen Herausforderungen begegnet. Außerdem war es für mich als Vegetarierin sehr eindrücklich und spannend, mal in einer Schlachterei zu stehen und die Schlachtung genau erklärt zu bekommen.


Julia: Ich glaube mich hat am meisten die Begegnung mit den vielen Existenzgründer*innen, teilweise auch Alumni der HNEE, beeindruckt. Junge Menschen, die häufig nur ein paar Jahre älter sind als wir und sich auf verschiedene Weisen von Betriebsneugründung mit Landsuche, über familiäre und außerfamiliäre Hofübernahme, ihren Traum erfüllen. Ihre Geschichten zu hören, ihren unbedingten Willen und die Bereitschaft ihr Leben der Landwirtschaft zu widmen, zu erleben. Und damit verbunden auch die ganzen Hürden auf dem Weg, seien es die Land- und Pachtpreise, das Arbeitspensum oder die Unvereinbarkeit von Beruf und Familien- bzw. Sozialleben, mitzubekommen.

Abb. 2: Auf der „SoLaWi lebendiger Landbau“ lauschen wir Johannes (Foto: Judith und Julia)


Für meine berufliche Zukunft nehme ich aus der Woche mit:

Judith: Nach einer so langen Zeit Online-Studium und nun auch ein Jahr nach unserem Praxissemester war die gesamte Woche ein sehr spannender Realitätscheck für mich. Mir persönlich hat die Woche wieder einmal stark gezeigt, welche großen Unterschiede es innerhalb der ökologischen Lebensmittelwirtschaft gibt und in welchen Kontexten ich mich eher wiederfinden kann. Auch wenn ich schon lange weiß, dass ich nicht direkt in die "klassische" landwirtschaftliche Berufspraxis mit Existenzgründung einsteigen werde, würde ich sagen, dass die Woche für mich zukunftsweisend war. Auch der Austausch in der Gruppe über das Gehörte und Erlebte hat definitiv dazu beigetragen. Sich gemeinsam zu begeistern, zu empören und Fragen zu stellen, hat diese Woche sehr einzigartig und gemeinschaftlich gemacht.

Alle noch so unterschiedlichen Eindrücke haben wieder mal gezeigt, dass an allen Punkten in der (regionalen) Wertschöpfungskette so harte und wichtige Arbeit geleistet wird, die definitiv mehr Wertschätzung verdient! Deswegen bin ich mir auf jeden Fall sicher, dass ich mich weiter gegen die strukturellen Schieflagen und für eine lebenswerte Arbeitsrealität von Landwirt*innen einsetzen möchte.


Julia: Ja, Realitätscheck trifft es gut, das habe ich sehr ähnlich empfunden! Ich würde es als eine Art Systemschmerz beschreiben, der mich und wahrscheinlich auch uns alle durch die Tage begleitet hat. Egal ob der Landwirt, der 700 ha von einem reichen Immobilienmakler bewirtschaftet oder die idealistische 7 ha SoLaWi, die an Sternköche nach Berlin liefert, alle stoßen sie an ähnliche Grenzen, die unser aktuelles System definieren. Von enorm gestiegenen Bodenpreisen, hin zum Ukrainekrieg, der die Preise für Futtermittel und Diesel in die Höhe schießen lässt, und die Feststellung, dass auch die Direktvermarktung und das Konzept der solidarischen Landwirtschaft die Kosten nicht decken können und die Menschen hinter unserem Essen sich trotzdem meist gnadenlos ausbeuten. Dazu kommen viel zu trockene und heiße Sommer aufgrund der Klimakrise. Wir stellen fest, dass das aktuelle Ernährungssystem nicht krisentauglich und extrem abhängig ist, ja sogar andere Krisen weiter befeuert.

Auf die Frage am Ende fast jeden Besuchs, wer denn von uns in die Landwirtschaft gehen will, hebt aus unserer Gruppe immer nur eine Person die Hand. Was kann meine Rolle darin sein, frage ich mich?


Das interessiert mich noch nach dieser Woche

Judith: An den Abenden nach den Hofbesuchen wurde die Frage nach den offenen Fragen sehr oft gestellt und jede*r konnte immer schnell was finden, was sie*er gerne noch gewusst oder gefragt hätte. Ich denke das können wir vielleicht anknüpfend an die vorherige Antwort kurzfassen mit folgender Frage: Wie können wir den Systemschmerz überwinden und der Landwirtschaft ihren eigentlichen (re-)produktiven Wert zurückgeben?


Unser Nachgeschmack der Exkursionswoche, beschrieben mit einem Gericht:

Julia: Mein Nachgeschmack ist ein Dessert: Ein „Mousse au Chocolat“ mit (zu) bitterer Zitronencreme darunter. Cremig und genussvoll erfüllt und inspiriert von den ganzen lehrreichen Begegnungen, kreativen und einmaligen Geschäftsmodellen und so wunderbar idyllischen Höfen, die einen immensen Beitrag zur landwirtschaftlichen Vielfalt leisten! Aber unten drunter die ganze Zeit dieser bittere Beigeschmack, wenn Betriebsleiter*innen uns ihre Kosten vorrechnen, von ihrem Arbeitspensum erzählen und von Problemen berichten, die sie nicht schlafen lassen.


Judith: Das hast du gut auf den Punkt gebracht. Da ess' ich mit!


Wir bedanken uns auch nochmal herzlich für die Vorbereitung und Organisation dieser tollen Woche bei Dr. Marianne Nobelmann und Prof. Dr. Anna Maria Häring!



Abb. 4: Bye Bye und bis bald! Auf dem Alten Pfarrhof Elmenhorst (Foto: Julia und Judith)

Wer noch mehr zu den Betrieben und Unternehmen wissen möchte, klickt sich durch die Webseiten. Auch das ist spannend… und vielleicht treffen wir uns ja während des Sommersemesters noch auf dem Campus, unter der Discokugel zum Beispiel, und besprechen die Fragen weiter.


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