Ein Beitrag von Valerie Voggenreiter
Ein Ort der Stille entsteht aktuell an der HNEE – Warum überhaupt und was hat Stille mit Nachhaltigkeit zu tun?Ob wir vom IPCC Spezialreport (2018) sprechen, oder den letzten Bericht der Vereinten Nationen zum Artensterben (2019) zu Rate ziehen – die Botschaft ist klar: wir haben viel zu verändern! Konsummuster, Denkweisen und Strategien. Gerade an einer Hochschule für nachhaltige Entwicklung sollte es doch Handlungsspielraum für Veränderung geben, oder?
Nachhaltigkeit?
Was verbirgt sich hinter dem Wort, welches seit 1987 mit Hilfe des Brundtlandt-Berichts, Our Common Future, in den gesellschaftlichen Diskurs geschafft hat? „Die Welt für nachfolgende Generationen in einem lebenswerten Zustand überlassen“, sagen einige. „Ist doch alles nur Greenwashing“, halten andere dagegen. „Mit so Öko-Zeugs habe ich nichts zu tun, hilft alles nichts, wenn man sich Länder wie China und die USA anschaut“, ist auch eine frequentierte Antwort der letzten Jahrzehnte gewesen – und ist es immer noch.
„Nachhaltige Entwicklung“ wurde von Politik und Wirtschaft vereinnahmt und kann heute schon fast als überstrapaziert bezeichnet werden. Es sieht nun mal schick aus, wenn der Nachhaltigkeits-Stempel auf einem Projekt steht. Taten folgen leider nicht immer. Dabei stehen auch eher ökologische Aspekte im Vordergrund, während soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit vernachlässigt werden.
Nachhaltigkeit!
Studierende des Masters Global Change Management (GCM) haben begonnen sich zu fragen, wie Nachhaltigkeit einer intrinsischen Motivation heraus entwachsen kann. Der Ansatz kam aus einem Gefühl der Überforderungen bezüglich Klimawandelfakten und wenig Zeit für Verarbeitung der Infos. Entstanden ist die Silence Space AG. Wenn Verhaltensweisen hauptsächlich in Form von Regeln auferlegt werden, können sie häufig den gewünschten Effekt des achtsamen Umgangs mit der Um- und Mitwelt verfehlen. Dies ist auch ein Erklärungsversuch von vielen dafür, warum in den letzten 30 Jahren nicht mehr in Hinsicht auf globalen Umwelt- und Ressourcenschutz geschehen ist. Welche Handlungsperspektiven gibt es in Zeiten von ökonomischen sowie ökologischen Krisen, angefeuert durch die Leistungsgesellschaft? Machtlosigkeit ist oft ein Begleiter in dieser Debatte.
Silence Spaces: Der Stille ein zu Hause geben
Die Welt verändert sich. Das hat sie zwar schon immer, nur noch nie hat die Menschheit so viel dazu beigetragen. Wenn weiterhin business as usual betrieben wird, wird Land immer knapper, die Meere übersäuern und die Urwälder, die Lungen unserer Erde, verschwinden. Die Fakten liegen offen, die Taten lassen auf sich warten. Warum?
Die Studierenden kamen zu der Schlussfolgerung: nachhaltiges Handeln beginnt beim Umgang mit sich selbst! Die soziale Komponente, wie etwa der Umgang mit Stress und Überforderung, muss mehr Beachtung finden. Während der Stille verinnerlicht und wertet das Gehirn Informationen aktiv aus. Natürlich kann diese auch im Wald gefunden werden. Allerdings ist es wichtig, Institutionen dazu zu inspirieren, der Stille einen Stellenwert zuzuschreiben und einen symbolischen Ort zu geben. Mitarbeiter*innen soll es möglich sein, sich zu besinnen – auch wenn die Natur fern ist. Dazu braucht es Erinnerungen der Selbstwertschätzung und dazugehörige Räume. Es soll möglich sein, sich regelmäßig bewusste Auszeiten zu nehmen, den Atem zu beobachten, den Körper spüren – das alles in einem geschützten Raum, der es zulässt in einen Modus des Loslassens zu kommen. So kann Stress gemildert, Emotionen anerkannt und ein kühler Kopf gewonnen werden. So können wir gestärkte, aktive Akteur*innen im Wandel sein, um diesen nicht passiv über uns ergehen lassen. Denn wie sollen neue Nachhaltigkeitsstrategien und Konzepte für Veränderung entstehen, wenn sich die Menschen gestresst und ausgelaugt fühlen? Hochschulen können und müssen dieses Gefühl der Überforderung ernst nehmen und Einfluss nehmen – die HNEE tut genau dies. Aus der Stille kann dann was Neues entstehen, dieses Potential erkennt die Hochschule an. Sie unterstützt die Initiative namens Silence Space AG in ihrem Vorhaben, eine Jurte als Ruhezone am Waldcampus zu errichten. Der Stadtcampus wurde leider wegen Platzmangel ausgeschlossen.
Silence what?
Ruheräume für Entspannung, Gebete und Kontemplation gibt es immer häufiger an Hochschulen (Leuphana, Uni Lüneburg), Unternehmen (Sustainable Natives, Genossenschaft) und auch auf der Weltklimakonferenz (COP) 2019 in Chile soll es dieses Jahr einen geben. Allerdings liegt der Fokus des Silence Space Konzept auch darauf, Wandel und Transformation konkret mitzugestalten und gibt dem Raum dadurch noch eine weitere Bedeutung. Silence Spaces können die Atmosphäre schaffen, in Zeiten des anthropogenen Klimawandels cool-headed action walten zu lassen. Nebst aller Ideen zu Klimawandelanpassung und -vermeidung liegt doch die am nächstliegende Chance für weniger Umweltbelastung bei der Verhaltensänderung, nebenbei bemerkt, einer der schwierigsten Hebelpunkte. Dennoch, es wird gefordert: Entschleunigung statt Heißzeit!
Der Silence Space - die Entstehung
Mit Hilfe der Projektwerkstatt Commons hat sich eine Gruppe Studierender verschiedenster Fachrichtungen der HNEE gefunden und zur PW Silence Space formiert. Im Sommersemester 2019 wurde innerhalb von drei Workshops unter der Anleitung von Angelika Barrel (The Red Tent Company) der Jurtenbau erlernt. Es wurden fast zwei Kubikmeter Holz geholt, zugeschnitten, geschliffen, unter heißem Wasserdampf gebogen, geölt, gebohrt, u.v.m. Mittlerweile steht das Gerüst – an der Plattform wird noch gearbeitet. Der Bau ist soweit fortgeschritten, dass Angelika bereits Maße nehmen konnte und sich nun an das Nähen der Innen- und Außenhaut setzen kann. Das wird etwa drei Wochen dauern. Im besten Fall wird die Jurte an unserem Tag der offenen Tür, Samstag 15.Juni aufgebaut, whup whup, wenn das mal keine Punktlandung ist.
Die Transdisziplinarität des Projekts lies jetzt schon ein Gemeinschaftsgefühl entstehen und zeigt gleichzeitig auf, wie wichtig es ist, über das eigene Arbeitsfeld, bzw. Studienrichtung hinweg zu sehen und an einem Strang zu ziehen, um Strukturen zu transformieren.
Wie wird der Silence Space genutzt? Stille als Haltung
Der Silence Space soll während der Vorlesungszeiten frei von jeglichem Konsum sein. Sich in diesen Raum zu begeben, verstehen wir als ein bewusstes Bekenntnis an sich, sich selbst etwas Gutes zu tun. Studierende und Mitarbeiter*Innen können dort Kraft schöpfen, wenn der Stresspegel steigt. Es darf geruht, innegehalten und sich gestreckt werden – jenseits von Laptop, Smartphone, Gesprächen und jeglicher Reizüberflutung. Die AG forscht auch zur Bedeutung von Stille in Unternehmen, nachhaltigen Lernstrukturen und (Selbst-)Wertschätzung. Kann bewusstes Innehalten den Hochschulangehörigen zu mehr Lebensqualität verhelfen? Können wir durch Schonung eigener Ressourcen, ebenfalls schonender mit den Ressourcen unserer Mitwelt umgehen? Kann etwa die Implementierung von konsumfreien Räumen an Schulen und Hochschulen zu mehr Suffizienz und einer zufriedeneren Gesellschaft beitragen?
Es beginnt mit einer Idee
Rund um diese Themen soll der Silence Space dann an Abenden und Wochenenden für Diskussionsrunden und Workshops zu Verfügung stehen. Hier darf ein Raum entstehen, der Visionen einer lebenswerten Zukunft entstehen lassen soll. Alles beginnt ja mit einer Idee. Und wenn dies kollektiv geschieht, kann das Potential für Transformation noch mehr wachsen. Es soll auch Workshops zu Körperwahrnehmung (z.B. Yoga) und Achtsamkeit (z.B. Meditation) geben. Die Hochschule wird damit in ihrem Nachhaltigkeitsbegriff bereichert und soll über Eberswalde hinaus inspirieren. Der erste zweistündige Workshop der Silence Space AG hat bereits am 24. Mai im Rahmen der Nachhaltigkeitstage stattgefunden. Über Meditations- und Achtsamkeitsübungen wurden die Teilnehmer*innen an das Thema der sozial-ökologischen Transformation herangeführt.
Orte für Bildung und Bewusstsein: die soziale Dimension der Nachhaltigkeit fördern
Dieses Projekt ist ein Aufruf, Symbole der Stille in der Hektik des Alltags zu implementieren. Um nicht zu vergessen, uns selbst Wertschätzung zu schenken und dadurch in unserer Mitwelt bedachtere, selbstbewusstere Akteur*innen zu sein. Klar, der Wandel geschieht hier sehr langsam. Es kann die Frage gestellt werden: „Haben wir überhaupt Zeit dafür?“ Laut IPCC 2018 sind die nächsten 10-12 Jahre ausschlaggebend dafür, auf welches Szenario (1,5°; 2°; 4°) wir uns als Weltgesellschaft klimatechnisch zu bewegen. Die Hoffnung besteht, dass eine entschleunigte Industriegesellschaft die Erderwärmung wenigstens etwas eindämmen kann und zu besonnenen Strategien kommt. Durch Stille wird das Unbewusste ins Bewusste gehoben. Da kann viel passieren, ja, gar kulturbildend sein. Und auch, wenn wir das 1,5° Grad verfehlen: es wird genug zu tun geben, sich gemeinsam für einen lebenswerten Planten einzusetzen. Warum also nicht mit Methoden, die allgemein einen entspannenden Effekt haben können und nebenbei Ressourcen schonen.
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