Ein Gastbeitrag von Noah Ninck
Die zweite Durchführung der gemeinsamen Summerschool der HNE Eberswalde und der ZHAW Wädenswil fand Mitte August 2022 in Eberswalde und Umgebung statt. Das Oberthema Agroforst & Regenerative Agrikultur wurde aus der Perspektive des Stadt-Land-Nexus betrachtet. Das heißt, dass wir nebst Exkursionen auf vielfältige regenerative Landwirtschaftsbetriebe, deren gemeinsames Ziel ein bodenaufbauendes, regeneratives Wirtschaften ist, Berlin besucht haben, um einen Blick auf mögliche Kund*innen und Absatzkanäle regenerativer Produkte zu werfen. Reich an Eindrücken und Gelerntem, sowie durchsetzt von im Vorfeld vorbereiteten Gruppenarbeiten verging die Woche wie im Zeitraffer.
Gruppenfoto im Prinzessinnengarten Berlin (Foto: Ralf Bloch)
Tag 1 & 2
Nach einem Tag des Ankommens und Kennenlernens startete die Exkursionswoche mit der Führung des Eberswalder Jungunternehmens Finizio, welches sich der Wiederverwertung von menschlichen Ausscheidungen verschrieben hat. Nebst dem breiten Feld des Fäkalhumors, das Finizio mit griffigen Slogans salonfähig macht («Zuckerkot und Peitsche», «We get your shit together» und etliche weitere) werden dringend nötige Impulse in Richtung Sanitärwende und Kreislaufwirtschaft gesetzt. Eine zirkuläre Nährstoffwirtschaft hat das Potenzial, Bodenaufbau ohne den Einsatz von mineralischen und synthetischen Düngern zu ermöglichen.
Führung von Finizio bei den Stadtwerken Barnim (Fotos: Sarah Volk, Ralf Bloch)
Wie das funktionieren könnte, ließ sich kleinräumig auf den solidarisch bewirtschafteten Market-Gardening-Flächen des Spörgelhofs betrachten. Auf dem Hof sprachen wir nicht nur über Wasserknappheit, brandenburgisch-sandige Böden und Mulchsaattechnik, sondern konnten uns auch offen über Löhne in der Landwirtschaft austauschen. Großräumig, auf dem Schlossgut Alt Madlitz mit dem regenerativen Zweig Gut und Bösel, fand sich die regenerative Landwirtschaft in Form von Waldgärten, diversen Agroforst-Flächen und einem ausgeklügelten, ans «Holistic-planned-Grazing» angelehnte und in den Ackerbau integrierte Weidemanagement. Auf dem Rückweg nach Eberswalde ließ sich das in einen Gemüsebetrieb integrierte Keyline-Design auf dem Waldpferdehof als Beispiel für erosionshemmende, wasserhaushälterische Bewirtschaftung von Hanglagen betrachten.
Schwerpunkt Agroforst: Market Garden Flächen auf dem Spörgelhof, Agroforstsystem bei Gut & Bösel, Keyline Agroforst auf dem Waldpferdehof (Fotos: Sarah Volk, Ralf Bloch)
Knacknuss für die Regenerative Landwirtschaft, so lernten wir, ist deren Finanzierung. Insbesondere bei langfristigen Produktionsweisen wie Agroforstsystemen und Keyline-Designs müssen Stiftungen, Forschungsgelder oder Naturschutzprojekte für Anschubfinanzierung sorgen. Oder es werden von der Basis her genossenschaftlich Gelder verfügbar gemacht. Letzteres ermöglichte auf dem Spörgelhof die Anschaffung von Mulch-Direktsaat-Technik. Stiftungs- und Forschungsgelder werden bei Gut & Bösel im großen Stil beschafft, das Keyline-Design auf dem Waldpferdehof wurde vom regionalen Naturpark Märkische Schweiz finanziert, in welchem die Flächen des Waldpferdehofs liegen.
Tag 3
Die dem Konzept des Agroforsts inhärente Langfristigkeit wurde auf der HNEE-Versuchsfläche im Löwenberger Land deutlich. Durch den Anbau von Wertholz im landwirtschaftlichen Setting, welches frühestens in 50 Jahren Ertrag abwerfen wird, treffen forst- und landwirtschaftliche Denkweise aufeinander. Sofern diese Denkweisen nicht aufeinander abgestimmt, harmonisiert und bestenfalls in einer Person oder einer Hofgemeinschaft vereint werden, sind Agroforstprojekte schwer umzusetzen.[NNF(1] [RH2] . Auch weil sie im Gegensatz zu bestehenden Forsten, bis zum ersten Ertrag mit langfristigen Großinvestitionen verbunden sind.
Ebenfalls mit Großinvestitionen verbunden war das am selben Tag besuchte Pyrolyseunternehmen der Carbonauten. Ihr Ziel ist es, im großen Stil global Pflanzen- und Biokohle zu produzieren und hierdurch zum einen CO2 dauerhaft zu binden und zum anderen bodenverbessernde Produkte zu erzeugen. Wenngleich es gemäß den Carbonauten ein Betriebsziel ist, jede Vorgehensweise wissenschaftlich abzustützen, gibt es zu den Auswirkungen von Pflanzenkohle auf das Ökosystem Boden kaum Langzeitstudien. Ob das Geschäft zur Rettung der Welt oder die Rettung der Welt zum Geschäft beiträgt, war uns nach der Führung nicht ganz klar.
Besuch in der neuen Produktionshalle der Carbonauten in Eberswalde, Gruppenarbeit zu Wertholz-Agroforstsystemen am Rande der HNEE-Modellfläche (Fotos: Ralf Bloch)
Tag 4
Wir wollten ja auch die potenziellen Kund*innen und Absatzwege kennenlernen.
Also ging es an Tag 4 nach Berlin. Ein Ort, an welchem der soziale, non-profitable Aspekt im Vordergrund stand, waren die Prinzessinnengärten.
Hier können sich Anwohner*innen und Schul- sowie Kindergartenkinder gärtnerisch ausleben. Ebenfalls in Berlin, aber ums Geschäft ging es in der Markthalle Neun bei der dort angesiedelten Plattform 2020. Anstelle einer Shoppingmeile wurde ein Wochenmarkt-Konzept in der Kreuzberger Markthalle angesiedelt. Einer der Stände gehört zur Plattform 2020, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, regenerative Produkte von Kleinbetrieben in die Stadt zu bringen. Nebst frachtlogistischer Infrastruktur bietet die Plattform 2020 den Betrieben die Abnahme der Produkte zu Produzent*innen-bestimmten Preisen. Die hierdurch teureren Produkte werden am Marktstand an zahlungswillige Kund*innen sowie an die Sternegastronomie verkauft.
Urban Gardening im Prinzessinnengarten Berlin (Foto: Sarah Volk)
Tag 5
Am letzten Tag der erlebnisreichen Woche voller Eindrücke, Inputs, Fragen und Diskussionen wurde eine ehemalige DDR-Versuchsfläche in Buckow des verstorbenen Dr. Jürgen Reckin besucht, auf welcher sich inmitten einzigartiger Baumvarietäten und einem vielfältigen Landschaftsmosaik der Kreis bei der mäandrierenden Erzählung von Thorsten Perl[RH1] [S2] schloss, und alle zuvor behandelten Themen noch einmal angeschnitten wurden. Bei der gemeinsamen Reflexion waren sich alle darüber einig, dass es eine lehrreiche, gut organisierte Woche in einem diskussionsfähigen, wohlwollenden Gruppengefüge war. Das Lernen wurde durch die ständige Anwesenheit akkumulierten Fachwissens befeuert, welches in den Personen Mareike Jägers (ZHAW) und Prof. Dr. Ralf Blochs (HNEE) stets mit in den Exkursionsbussen saß. Insgesamt ließen Gruppengefüge, Organisation, Fachwissen und jede Menge Praxisbeispiele Begeisterung aufkommen. Verzeiht also die Polemik, aber: Wenn wir die Welt retten, dann mit Begeisterung!
Beim Spaziergang über die Versuchsfläche in Buckow mit seltenen Gehölz-Schätzen (Foto: Sarah Volk)
Fakten zur Summer School:
Die Summer School „Regenerative Landwirtschaft und Agroforst“ ist eine Kooperation zwischen der ZHAW und der HNEE. 2021 fand sie zum ersten Mal in der Schweiz statt (darüber berichtet haben wir auf dem Blog hier).
Im jährlichen Turnus findet die Summer School mal in der Schweiz, mal in Deutschland statt. Die nächste Summer School 2023 wird wieder durch die ZHAW durchgeführt und es heißt für 12 HNEE-Studierende: Auf in die Schweiz!!
Hier findet ihr die Modulbeschreibung der Summer School für noch mehr Facts:
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