Die Summerschool “Agroforst und regenerative Agrikultur” ist ein Kooperatives-Modul der ZHAW (Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaft) und der HNEE und ging im August 2024 in die vierte Runde. Diesmal trafen sich 16 Studierende in Eberswalde. Sieben intensive Tage standen ihnen bevor, gefüllt mit lehrreichen Exkursionen.
Foto: Christa Hirschvogel
Das Programm umfasste größere und kleinere Exkursionen – verschiedene Betriebe berichteten aus ihrem Alltag und beantworteten zahlreiche Fragen der Studierenden. In einem kleinen Tagebuch haben die Studierenden ihre Eindrücke festgehalten und die gewonnenen Erkenntnisse zu Themen wie Agroforstanbaumethoden, Keyline-Design, Permakultur und Nährstoffzyklierung reflektiert:
Freitag, 16. August 2024
Holy Shit, was für ein Start! Mit einem Einblick in die Sanitär- und Nährstoffwende starten wir mit orangen Leuchtwesten ausgestattet auf dem Eberswalder Entsorgungshof in die Woche. Wobei «Entsorgung» im Falle des besichtigten Startups Finizio grundsätzlich das falsche Wort ist. Hier werden menschliche Exkremente aus Trenntoiletten zu wertvollem Kompost und Urindünger recycliert und so wieder in den Kreislauf zurückgebracht. Wir erhielten Einblicke in die verschiedenen Stationen von der Sammlung bis zu Hygienisierung und dem fertigen Produkt, sowie in die Gesetzeslage zum Recycling von Fäkalien.
Zurück auf dem Campus war es Zeit für die erste Präsentation, mitsamt vorgetragenem «Heilige-Scheisse»-Manifest von Hundertwasser, Keksen in Kothaufenform und Pro-und Kontra-Diskussion im Schweizer „Arena“-Abstimmungsstil. Der erste Tag endete beim Pizzaessen im Permakulturgarten, wo wir uns besser kennenlernen konnten – und das Kompost-WC gleich „würdigten“.
Samstag, 17. August 2024
Wasser ist knapp und der Wind weht scharf, gerade in den weiten Landstrichen Brandenburgs. Wie wichtig Agroforstwirtschaft ist, erfuhren wir am zweiten Tag unserer Summerschool. Wir besuchten die Baumschule Risilia, die nussfruchttragende Klimabäume für Agroforstwirtschaft, Plantagen und Gärten kultiviert – quasi das „Nussknacker-Ballett“ für Nachhaltigkeit. In einem interessanten Gespräch lernten wir außerdem die Rolle der Esskastanien in der Agroforstwirtschaft kennen, erfuhren, was Air Pruning ist, und bekamen einen Einblick in den Alltag als Baumschüler:in. Air Pruning ist eine Methode, bei der Pflanzenwurzeln durch Kontakt mit Luft an den Behälterwänden gestoppt werden, was die Bildung vieler feiner, verzweigter Wurzeln fördert und so ein dichteres und gesünderes Wurzelsystem entstehen lässt. Später führte uns unser Weg zu den großen Agroforstflächen des Betriebs Willmars Gärten, die zum Teil im Keyline Design angelegt wurden.
Foto: Christa Hirschvogel
EXKURS: Sonntag, 18. August 2024
Der Sonntag stand allen Teilnehmenden der SummerSchool zur freien Verfügung. Kräfte tanken vor der vollen Woche war angesagt bzw. hieß es für die Schweizer*innen: ab auf Eberswalde-und-Umgebung-Erkundungstour. So machte sich eine kleine Gruppe ZHAW-Studierende mit dem Kanu auf den Weg zum Schiffshebewerk, war jedoch länger unterwegs als geplant und verpasste beinahe das Abendessen – ein Abenteuer, das definitiv in Erinnerung bleibt!
Montag, 19. August 2024
Die neue Woche startete mit Vorträgen von Prof. Dr. Ralf Bloch, Mareike Jäger und Dr. Stefanie Albrecht, die uns die Herausforderungen der Landwirtschaft in Brandenburg sowie Agroforstsysteme und Keyline Design näher brachten. Am Nachmittag tauchten wir tief ins Thema Waldgärten ein und besuchten den urbanen Waldgarten Berlin-Bitz. Dort führte uns Dr. Jennifer Schulz von der Uni Potsdam durch die essbare Pflanzenwelt. Der Fokus lag auf der Frage, ob Waldgärten, ursprünglich aus tropischen Regionen, auch in gemäßigten Breiten für die Landwirtschaft funktionieren können. Urbane Waldgärten funktionieren, indem sie in städtischen Räumen eine mehrschichtige Pflanzenstruktur nach dem Vorbild natürlicher Wälder schaffen.In gemäßigten Breiten können sie durch die Anpassung der Pflanzenauswahl an das lokale Klima sowie die Nutzung von widerstandsfähigen, mehrjährigen Pflanzenarten für ganzjährige Nahrungsproduktion und ökologische Vorteile erfolgreich betrieben werden.
Dienstag, 20. August 2024
Am Dienstag besuchten wir Gut Temmen, wo uns das Konzept des „Mob Grazing“ nähergebracht wurde. Der Besuch begann mit einer kurzen Präsentation und einem besonderen Highlight: dem „Kuhherden-Rennen“ - so macht Wissensvermittlung Spaß. Wir haben später gelernt, dass Mob Grazing viel Aufmerksamkeit und Flexibilität erfordert. Die Tiere müssen etwa alle drei Stunden auf eine neue Weidefläche gebracht werden. Damit das Tierwohl, die Artenvielfalt und die Nachhaltigkeit gesichert werden, ist eine gute Planung und die Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen, wichtig.
Unser nächstes Ziel war der Erdhof, wo wir später auch unser Lager für die Nacht aufschlugen. Gemeinsam mit der Betriebsleiterin , Viola, brachten wir die Kühe zum abendlichen Melken in den Stall, bevor sie und ihr Mann, David, uns später bei einem gemütlichen Gespräch ihre Perspektiven auf die Landwirtschaft näher brachten. Nach einem Abend mit gegrillten Burgern und kühlem Bier verbrachten wir die Zeit am See - ein perfekter Ausklang des Tages.
Foto: Johanna Nachtigall
Mittwoch, 21. August 2024
Frisch aus den Schlafsäcken gepellt, machten wir uns nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Weg zum Projekt Ackerbau(m). Das Projekt ist Teil einer „Innovativen Lehr- und Lernform“ (ILL) der HNEE, bei der Nachhaltigkeit und nachhaltiges Lernen im Vordergrund stehen. Auf der Agroforstfläche brachten uns zwei PhD-Studenten, Melanie Wolf und Thomas Middelanis, der Universität Münster das Konzept der Citizen Science näher. Aufgeteilt in zwei Gruppen bestimmten wir die Vegetation in den Agroforststreifen und fingen Laufkäfer – ein praxisnaher Einstieg in die Forschung. Absolutes “Highlight” für die Schweizer*innen: Es war so windig, dass sie live miterleben konnten, wie in Brandenburg der Schluff, ein Bestandteil des Bodens, verweht. Hat definitiv für schockiertes Staunen gesorgt.
Foto: Prof. Dr. Ralf Bloch
Donnerstag, 22. August 2024
Unser Besuch bei Gut&Bösel brachte uns in die Welt der syntropischen Agroforstsysteme, die hier seit einigen Jahren erprobt werden. Diese Methode integriert Bäume und Sträucher in landwirtschaftliche Flächen und schafft ein regeneratives System, das sowohl den Bodenaufbau fördert als auch die Biodiversität erhöht. Besonders eindrucksvoll war der kleine Snack direkt aus der Natur: Wir naschten von den Früchten der Ölweiden und des Sanddorns, was uns das Potenzial dieser Systeme auf köstliche Weise vor Augen führte – als wäre die Natur selbst unser Buffet.
Nach einer kurzen Mittagspause und dem kurzen Besuch eines Gruppenteils bei Ackerpulco (MarketGardening), ging es weiter zum Waldpferdehof, der in den vergangenen Jahren eine Agroforstfläche im Keyline-Design angelegt hat. Das Keyline-Prinzip der Agroforstwirtschaft ist eine Landbewirtschaftungsmethode, die die natürlichen Wasserflüsse des Geländes optimiert, indem Wasser mithilfe speziell angeordneter Pflanzungen und Gräben in die Landschaft geleitet wird, um die Wasserspeicherung im Boden zu maximieren und Erosion zu verhindern. In einem kritischen Austausch mit dem Betriebsleiter setzten wir uns mit der konventionellen Landwirtschaft auseinander. Außerdem konnten wir beobachten, wie ein Bagger dabei war, ein Soll zu renaturieren. Zum Abschluss des Tages hatten wir ein wunderschönes Abendessen mit leckeren Essen und Getränken in Kristins Garten :)
Foto: Prof. Dr. Ralf Bloch
Freitag, 23. August 2024
Am letzten Tag unserer Exkursion hielt Phillip Gehard einen inspirierenden Fachvortrag, der uns viele Dankanstöße gab. Seine Perspektiven auf die Herausforderungen und Chancen der Zukunft regten uns dazu an, über unsere Rolle in der Landwirtschaft nachzudenken. Nach einem letzten gemeinsamen Eis hieß es dann Abschied nehmen. Die Schweizer-Gruppenteile stiegen wieder in den Zug und machten sich auf den Heimweg. Eine wundervolle, ereignisreiche Woche liegt hinter uns. Wir haben definitiv viel gelernt, viel gelacht und einfach eine gute Zeit gehabt.
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