Ein Beitrag von Valentin Kunze
Die Sonne ist bereits untergegangen, als wir am frühen Dienstag Abend mit einem VW Bus aus dem HNE Fuhrpark auf das gigantische Nürnberger Messegelände fahren. Neben mir auf dem Beifahrersitz sitzt die ÖLVin Carola und auf der Rückbank haben es sich Eva, auch eine ÖLVin, und Lukas bequem gemacht. Lukas studiert im dritten Semester ÖAM mit mir. Nachdem wir gefühlt alle Parkplatz-Einweiser*innen nach dem Weg gefragt haben, finden wir die Einfahrt zum “Backstage” des Messegeländes und schließlich auch einen Parkplatz nicht allzu weit vom riesigen Tor zur Halle 9 entfernt. Es ist eisig kalt und vereinzelte Schneeflocken rieseln aus dem grauen Nachthimmel als wir aus dem Auto steigen. Wir schleppen einige Umzugskartons mit Flyern und Prospekten, mehrere Aufsteller, ein überdimensioniertes Pappmaché Huhn und eine repräsentative Ökobäuerin in die Messehalle. Letztere ist nicht lebendig, versteht sich, sondern aus Holz zum zusammenstecken.
Die BIOfach 2018 soll morgen früh um Punkt neun Uhr ihre Tore für Mitmischer*innen der Ökobranche aus der ganzen Welt eröffnen. Allerdings sieht es bis jetzt noch eher wie eine riesige Baustelle aus: Überall liegen Papp- und Plastikreste auf dem Boden und Männer und Frauen in Arbeitskleidung schleppen, ziehen und tragen eilig Kisten, Kartons und andere Gegenstände in der riesigen Halle umher. Wir begutachten den HNE Stand und packen die Kartons aus, stellen die Aufsteller auf, platzieren das Huhn und stecken die Bäuerin zusammen. Fünf Tage lang sollen wir hier Interessent*innen von der Hochschule und unseren Studiengängen berichten, Kontakte zu potentiellen Partner*innen knüpfen und die HNE auf der größten Bio-Messe der Welt vertreten.
Das Chaos der letzten Nacht ist verschwunden und die Aussteller*innen verpassen ihren Ständen den letzten Schliff als ich am nächsten Morgen in Halle 9 eintreffe. Der HNE-Stand ist Teil der Next Generation Insel die vom Bio-Job-Vermittlungsunternehmen Kugler & Rosenberger betrieben wird. Rechts neben uns präsentiert sich die Weihenstephan-Universität die, wie mir ein Weihenstephan-Student erzählt, vor zwei Jahren die ersten Studierenden in die neue Studienrichtung Ökolandbau begrüßt hat. Zu unserer Linken befindet sich ein Platz für Vorträge mit einem Podest und Stühlen. Auch Teil der Next Generation Insel ist die Uni-Kassel mit einem Witzenhausen-Stand und außerdem die Universität Hohenheim, der Bund der Waldorfschulen und die EU-Öko-Kontrollstelle Agreco.
Da wir uns zu viert mit dem Dienst am Stand abwechseln können ist ausreichend Zeit um die Messe genau unter die Lupe zu nehmen. Am ersten Tag esse ich mich durch die schier endlose Welt der Bio-Süßigkeiten, -Käse, -Aufstriche und Energy-Balls und probiere mich durch die gesamte Welt der neuesten Getränke-Trends. Meine erste Feststellung: Nebst vielen sehr leckeren Produkten und interessanten Projekten sind die meisten Neuheiten er Bio-Welt eine Annäherung an das was Kund*innen aus konventionellen Supermärkten gewohnt sind – nur eben in Bio-Qualität: viel mehrfach verpacktes Convenience-Food. Eine Entwicklung die, meiner Meinung nach, mit kritischem Auge zu betrachten ist, da sie meinem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsanspruch an die biologische Landwirtschaft nicht ganz gerecht wird. Dabei küre ich als überflüssigste Neuheit eine Kapselmaschine für Wheatgrass mit Plastik-Kapseln. Andererseits kann das Argument aufgeführt werden, dass Verbraucher*innen sowieso zum Convenience-Food greifen – ob konventionell oder bio –, wobei es dabei bereits einen Fortschritt darstellt wenn immerhin die Zutaten dieser Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft stammen.
Wie dem auch sei kann ich nicht bestreiten, dass ich mich auf meinen Verkostungsstreifzügen nicht beeindrucken lasse. Als neue Lieblings-Süßigkeit entdecke ich die aryuvedischen Kichererbsen-Safran Bälle von Govinda und mein klarer Favorit unter den Drinks ist der Kombucha von ManuTeeFaktur. Die Zeit vergeht wie im Fluge, während wir unzählige anregende Gespräche mit Hochschulinteressent*innen und Vertreter*innen von Unternehmen, Projekten und anderen Einrichtungen führen und nebenher weiter die Messe erkunden. Dabei werden wir in das ein oder andere interessante Gespräch verwickelt und ich muss feststellen, dass es tatsächlich auch einige Projekte gibt, die sich dem Ausbau einer ganzheitlich Öko-Sozialen Landwirtschaft als Ziel verschrieben haben. Besonders begeistert hat mich ein Projekt mit dem Namen teikeicoffee, deren Mission es ist das Konzept der SoLaWi global zu denken und auf die Kaffeeproduktion auszuweiten. Dadurch soll ein gemeinschaftlich getragener Kaffeeanbau entstehen. Als zusätzliches Highlight und um dem Nachhaltigkeitsanspruch wirklich gerecht zu werden wird der Kaffee mit Segelschiffen von Südamerika nach Europa geschifft. Wenn das kein unterstützenswertes Projekt ist dann weiß ich auch nicht weiter!
Am Donnerstag sind wir als Vertreter der HNE Gastgeber des traditionellen Eberswalde Lunchs, einer Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Innoforum Ökolandbau Berlin-Brandenburg. Dabei sind ÖLV- und ÖAM-Almuni und Praxispartner*innen sowie an Kooperation interessierte Unternehmen geladen. Wir sind für die Verköstigung mit sehr leckeren Tapas und Getränken von Partnern aus der Region, wie dem Coldbrew Kaffee von Philosoffee und dem Streuobstwiesen-Saft von Ostmost, zuständig. Die Veranstaltung findet eindeutig Anklang: Zwischenzeitlich kann man sich im etwa Klassenzimmer-großen Raum des Innoforum nur noch mit Mühe bewegen. Besonders spannend für mich ist dabei herauszufinden, was ÖAM Absolvent*innen heute alles mit ihrem Abschluss in der Biobranche anstellen.
Als viele Stände am frühen Samstag Nachmittag damit anfangen ihre Ausstellungswaren an Messebesucher zu verschenken und erste Kisten durch die Hallen zu schleppen, steht das Ende der Messe wie aus dem Nichts bevor. So plötzlich das geschäftige Geschehen am Mittwoch morgen begonnen hatte, so plötzlich ist der Bann, der aus dem Zusammenspiel aller Aussteller die für vier Tage einen eigenen kleinen Bio-Kosmos auf der Messe schufen, gebrochen. Als die Biofach 2018 um 17 Uhr offiziell beendet ist, sind viele Stände schon in Kisten verpackt und bereit zur Abfahrt. Auch wir packen die verbliebenen Flyer und Prospekte zurück in die Umzugskisten, die Aufsteller in ihre Taschen, zerlegen unsere Ökobäuerin wieder in ihre Einzelteile und verfrachten sie zusammen mit dem überdimensionierten Pappmaché-Huhn zurück in den Bus. Noch überwältigt von den vielen Eindrücken und Gesprächen der letzten Tage und erschöpft vom Trubel der Messe manövrieren wir den Bus durch Kolonnen von LKWs und Lieferwägen zurück auf die Autobahn in Richtung Berlin.
Wenn Valentin gerade nicht auf der BIOfach ist oder bei uns ÖAM studiert, bloggt er übrigens auch noch hier: http://www.thepermaculturecollective.com/
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